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Gleis X

04. September 1997Von: Joerg JermannViews: 6955

Graffiti-Künstler zwischen den Fronten

Das erste Theaterstück über Hip-Hop in Basel hat im Birsfelder «Roxy» Premiere

Im «Roxy» in Birsfelden wird morgen ein neues Theaterstück aufgeführt, das spezielle Erwähnung verdient: Es ist das Hip-Hop-Theaterstück «Gleis X», das später auch im Theater Basel gezeigt wird. Autor und Produzent ist Skelt!, Regie führt Tom Ryser.

Wie steht es doch im Flyer zum Projekt so schön und mit eigener Verve geschrieben: Hip-Hop sei eine Kraft, die «aus dem Nichts» komme, «respektive» eine Kraft, die «nichts als Menschen und irgendeinen Ort» brauche. Die «Fördervereinigung für neue künstlerische Zusammenarbeit» moniert, Hip-Hop sei in «unzähligen Radio- und Fernsehberichten als gewalttätige Modeerscheinung» abgetan worden, die bald wieder verschwinde. Aber Graffiti werde nun bald dreissig Jahre alt und Rap zwanzig, «das wissen viele nicht.» Frauenfeindlichkeit und Rassismus sind da erwähnt, die man der Bewegung vorgeworfen habe. Aber das sei «eigentlich ein Widerspruch in sich, da sich sehr viele Ausländer der zweiten und dritten Generation zu dieser nicht unumstrittenen Szene zählen». Dabei wird auch das Wort «Szene» hinterfragt, ob man «diese Kultur» überhaupt so nennen könne.

Dann aber folgen handfestere Informationen, die aufhorchen lassen, es geht um folgende Fragen: Wie fühlt sich ein Maler, der für seine Bilder (Graffiti) vor Gericht steht und verurteilt wird? Was sind «Tags»? Was ist die Triebfeder für die immense Kreativität, die in Form von Bildern, Tanz und Musik ausgedrückt wird? Warum, wird in diesem Zusammenhang auch gerade gefragt, werden Jugendliche gewalttätig? Und dann kommt's: «Was geschieht, wenn etablierte und wilde Kunstformen wie Hip-Hop und Theater aufeinandertreffen? Wie entsteht aus einem Ameisenhaufe von dreissig Körper-, Wort-, Spraydosen- und Turntable-Akrobaten, die charakterlich, künstlerisch und kulturell so verschieden sind, ein Ensemble?»

Vielleicht hat Theaterdirektor Schindhelm auch Hand geboten zur Sache, weil ihn ein Schlüsselsatz gereizt hat: «Wo das Wort an Bedeutung verliert, entstehen neue Formen des Ausdrucks.» Und im Theater können neue Gruppen von Leuten erreicht werden für diese neue Kultur, die das «Roxy» oder die Strasse nicht erreicht.

Die Produzenten stellen sich die wesentliche Frage allerdings auch gleich selbst: Ob der Hip-Hop nicht auf die Strasse gehöre, wo er herkomme. Zweifellos besteht eine gewisse Gefahr darin, dass sich eine wilde Strassenkultur auflöst oder wandelt, wenn sie plötzlich von den grossen Kulturinstitutionen aufgesogen wird.

Die ganze Geschichte wurde so richtig lanciert, seit die Gruppe «Bee 4 Real» «Basel's Hip Hop History» von 971 Ideen einreichte und unter die 19 ausgeführten Projekte kam. «Ideen für Basel» ist ein Projekt der Basler Kantonalbank. Und Regierungsrat Stefan Cornaz wird beim ersten Auftritt der Hip-Hop-Theatermacher im Grossen Haus genauso einige Worte an die Jugend richten wie Theaterdirektor Michael Schindhelm, der mit seinem Engagement Offenheit und einen gewissen Mut beweist. Das Stück hat ausser dem Betrag aus dem Ideenwettbewerb von 78100 Franken auch noch 20 000 durch die Kulturämter der beiden Kantone erhalten.

Das Theaterstück erzählt die Geschichte von Samir, einem Spray-Künstler, der einen Doppelfehler begeht. Er übermalt einerseits ein anderes Spraybild, was gegen den Ehrenkodex ist und ihn in Konflikt mit fanatischen Hip-Hoppern bringt, andererseits muss er sich vor der Polizei hüten, die alles der staatlichen Ordnung unterstellt. Wie er da herausfindet, wird zu verfolgen sein. Solidarität erfährt er von keiner Seite, er muss herausfinden: Er stellt sich der Herausforderung.

In der Aufführung werden viele Laien Theater spielen, und selbstverständlich wird auch getanzt. Eine grössere Statisterie ergänzt das gross aufgezogene Projekt. Im «Roxy» Birsfelden geht die Sache los. Morgen Freitag - und dauert dort bis zum 20. September. Anschliessend kommt das Stück für sechs Aufführungen ins Theater Basel, damit, so der Text im Wettbewerbsheft, diese Kultur einer breiten Bevölkerung näher gebracht werden kann. Das Stück soll «den Dialog zwischen Generationen fördern und Verständnis für die Hip-Hop-Kultur schaffen.» Was durchaus zu versuchen ist.

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