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Gleis X

16. September 1997Von: Lorenz KhazalehViews: 7412

«Gleis X»: HipHopper zeigen in Birsfelden ein Stück über ihre Musik, ihre Art zu leben und ihre Konflikte

Zuschauen und angeschaut werden

BIRSFELDEN. Kann Theater vom HipHop lernen? Gegenwärtig läuft im Roxy in Birsfelden das erste HipHop-Theaterstück: «Gleis X». Regisseur Tom Ryser (31): «Theater überlebt dann, wenn es die modernen Kommunikationsformen, alles was direkte Kommunikation fördert, aufnimmt. Die HipHopper haben das begriffen; ich bin auf der Bühne und bringe meine Nummer, kurz später stehe ich im Saal und beklatsche die anderen. Theater muss das schaffen: die Zuschauer wieder durcheinanderzubringen, dass man erschrickt, weil plötzlich einer dich genau anschaut. Bei den HipHoppern passiert das jedes Mal.»

Die Besucher bekommen einen exklusiven «inside-view» präsentiert: Die HipHopper erzählen ihre Geschichte. Autor Skelt! (24) und sämtliche Schauspieler sind aktive HipHop-Künstler. Skelt! ist seit 1991 Frontmann der ersten auf Baseldeutsch rappenden Musikgruppe (P-27) und war in Lörrach im Vorprogramm von Sabrina Setlur zu sehen. Nur die Regie überliessen sie einem Profi: Tom Ryser, einem in Berlin lebenden Schauspieler und Regisseur.

Und diese Entscheidung tut dem Stück gut - beide Parteien profitieren davon. Die Aufführung ist nicht nur witzig, originell, frech und lebensnah. Sie wird auch professionell gespielt und arrangiert. Jede Szene birgt Überraschungen. Sie erschrecken das Publikum: weil sie es plötzlich genau anschauen. Es ist eine Aufführung, in der Insider sich wiedererkennen (das zeigten Gespräche in der Pause) und Outsider für eine kurze Zeit Teil der HipHop-Kultur werden. Man nimmt - wie ein heimlicher Beobachter - teil an nächtlichen Sprayaktionen, an den Konflikten innerhalb des Milieus, an Parties mit Breakdance-Wettbewerben und an den Auseinandersetzungen mit der «äusseren Welt»: mit dem Elternhaus, der Schule - und mit der Polizei.

Das Schöne: Die Akteure geben kein eindeutiges Bild, sondern zeigen die Vielfalt, die Zweideutigkeiten ihres Milieus. Sie beschönigen nicht, drängen dem Publikum keine moralisch-pädagogischen Botschaften auf. Konflikte und gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen und Sprayern sind genauso präsent wie Spass auf Parties. Überraschend die aktive Rolle der Frauen: In nicht wenigen Szenen bieten sie den Männern Paroli. Vielleicht wegen dieser Realitätsnähe fällt den Zuschauern aus dem HipHop-Milieu die Identifikation mit den Figuren so leicht. Vielleicht auch, weil diese sich nicht bierernst nehmen. Wilde Rapszenen enden abrupt mit dem Ruf «'s Esse isch färtig» der Mutter oder «Ich muss Hausaufgaben machen». Ein Doppelleben! Gleis X verleugnet das nicht. Genausowenig die Desillusionierung «Jahre später»: In einer Vernissage eines Ex-HipHoppers kommen Kollegen mit Frau und Kind an. Die Bilder zeigen Graffitis - auf Leinwand gemalt.

Gleis X ist ein originelles Theaterstück, das die Welt der HipHopper Outsidern näherbringt und Insidern einen Spiegel vorhält. Also ein Stück von HipHoppern, aber nicht nur für HipHopper.

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