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Gleis X

08. September 1997Von: Till HeinViews: 7542

Erste Sahne oder Hey tschöösss!

Am Samstag hatte im «Roxy» Birsfelden «Gleis X» Premiere. Zwanzig Leute aus der Hip-Hop-Szene legten ein Musical auf die Bretter, von dem noch einiges zu hören sein wird.

Birsfelden. «Heute habe ich frischen Durchfall mit einem echten Schweineborsten-Pinsel auf die Leinwand gebracht. Ich will zeigen, was so alles aus uns herauskommt», sagt Gaetano (Giuseppe Mavrici), und die Galeristin aus dem Basler «Daig» hängt an seinen Lippen. - Von der Subkultur in die «Kinschtler»-Szene: Gaetano und sein Kumpel Samir (Tarek Abu Hageb) haben es geschafft.

Die beiden Nachwuchskünstler sind von Haus aus Hip-Hopper, und Rappen, Breakdance und die Gang waren ihr Leben. Und dann natürlich das Vollsprayen grauer Wände, die «illegale Kunst». Nicht nur deshalb hatten sie dauernd Stress mit den «Bullen». Und heute kommt der ehemalige Schlägertyp und Gang-Boss Bruno, «Numero Uno» (Urs Baur), mit Frau und Baby zu ihrer Vernissage, und nichts ist mehr wie früher, oder doch?

«Gleis X» ist nicht Durchfall, und im ausverkauften «Roxy» sassen nur wenige «Daig»-Galeristinnen, aber eine Gratwanderung ist das Unternehmen trotzdem: Hip-Hop-Subkultur als Musical, und dann noch auf Baseldeutsch, das tönt gefährlich. Und tatsächlich: Die Story mit Gewalt, Drogen und Pubertät scheint banal, und das Herumbrüllen ist als Ausdrucksmittel mit der Zeit genauso abgelutscht, wie wenn Samir zum zehnten Mal «Fick di!» sagt. Und schliesslich haben «Züri West» & Co wirklich Glück gehabt, dass sie nicht aus Birsfelden oder Basel stammen. Aber das ist alles so etwas von egal: Da stehen zwanzig junge Leute auf der Bühne, die alles geben und eine Geschichte auf die Bretter legen, die mit ihrem eigenen Leben zu tun hat.

Kein Wunder, denn der 24jährige Autor Skelt! ist selbst Rapper und kennt die Szene genau. In rund zweieinhalb Stunden macht man in seinem Stück Bekanntschaft mit Originalen aus einer durchaus faszinierenden Jugend-Subkultur. Die Breakdance-Szenen haben Drive, die Rap-Nummern fetzen, und auch schauspielerisch sind alle gut unterwegs. Tom Rysers Inszenierung legt viel Wert auf Tempo und schnelle Wechsel, und das Finale hat dann sogar Opernqualität. Hip-Hopper sind keine introvertierten Mäuschen: sie feiern und produzieren sich beim Applaus wie weltberühmte Startenöre.

An manchen Stellen ist «Gleis X» vielleicht etwas pädagogisch. Wenn etwa Samirs Mama (Margot Gödrös) plötzlich zu rappen beginnt. Doch zum Glück wird das Ganze immer wieder ironisch gebrochen, und so kommt schliesslich doch keine falsche Harmonie auf.

Viele Hip-Hopper sind Ausländer der zweiten oder dritten Generation, und so ist es nicht nur erfrischend, sondern auch authentisch, wenn Samir und Gaetano bei Gefühlsausbrüchen in die Muttersprache wechseln.

Ähnlich wie das Berliner Erfolgs-Musical «Linie 1» macht «Gleis X» eine Jugendszene für die «Aussenwelt» erlebbar, ohne sie zu verraten. Dieses Stück kann zu Recht ein Riesenerfolg werden. - Auch für dezidierte Nicht-Hip-Hopper sehr empfehlenswert, oder: «Hey tschöösss!»

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