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Prinzähssinnen

03. Juni 1999Von: Tobi MüllerViews: 8057

Powerbabys

«Prinzähssinnen» ist Theater im Overdrive: Hip Hop und Feminismus.

Die «Prinzähssinnen» drehen die Geschlechterventile voll auf und spritzen mit Hochdruck Richtung Mann. Das ist ziemlich hygienisch, für die acht Frauen mitDurchschnittsalter 20 aus Basels und Zürichs Hip-Hop-Szene jedenfalls.

Undgesünder, als im Ferienlager den Fresspäckliteilet mit den Jungs zu boykottieren. In den siebzig Minuten Vollgastheater der zähen Königinnentöchter nämlich sind Männer reinrassige Schwanztiere, die dauernd läufig wedeln und rüde bellen. Gut so, obwohl ich ein Mä-hä-nnchen bin. Denn auch als hormongesteuerte Spezies verlässt man das Migros Museum, wo Premiere war, bevor im Jugendhaus Dynamo weitergespielt wird, ziemlich gut gelaunt. Das liegt nichtvorab an den kruden Männerparodien, eher schon an der puren Lust der totalenVeräusserung, am satten Drive dieser siebzig Minuten, an der schieren Authentizität.

 

Matratzentürme

 

Und am Witz natürlich, am etwas genaueren Hinschauen auch, wenn frau Frauthematisiert. Am schönsten ist's kurz nach Beginn. Die dreiköpfige BaslerFraktion täppelt als Prinzessinnen auf die spärliche Bühne. Eingeschnürt insprichwörtlich atemraubende Oberteile piepsen sie tussig, die Krönchen wackelndackelig. Die eine - die so gar nicht hip-hoppig ausschaut, aber am feinsten spielt - hält eine Orange in der Hand: Das sei ihr Menstruationsgeschenk, das sie erst nach der Heirat schälen dürfe. Nachdem das Korsett fällt und in der tapferen sprachlichen Wiederholung des weiblichen Geschlechtsteils das Selbstbewusstsein wie Matratzentürme über Erbsen wächst, verspeisen sie schliesslich die tropfende Orange lustvoll stöhnend. So die Verwandlung der Prinzessinnen zu «Prinzähssinnen».

Da Dr. Sommer den Schwestern Männerpillen verschrieb, schleppen sie nun füreinen Monat ein paar zusätzliche Kilos zwischen den Beinen. Szenen einerMänner-Seifenoper werden mit Konservenlachern beschallt. Lange dauert dasnie, Songs aus Soul- und Rapland trennen die Situationskomik: Eine sieht mitPerücke aus wie Pam Grier aus Tarantinos «Jackie Brown» und rappt französisch, eine andere schmachtet eineSoulnummer, und die lauteste im paramilitärischen Outfit zeigt nicht nur, dass sie ordentlich schreien kann, sondern auch als einzige ihren Flow auf den Schlag zu timen weiss.

Seggle, Mäitli!

Frauen haben es schwer vor dem Fernseher, wo lauter Gazellen auf Hacken mitdem Druck zweier Elefantenkühe rumstaksen. «Seggle, Mäitli,zieh die Schue a!», schreien sie oder machen bei Pamela Andersons obligatem Silikonjogging Kopfbewegungen, als beobachteten sie ein Jojo. Hübsche Barbiepuppen gehören ausserdem aus Kinderzimmern verbannt, und die der TV-Norm entlehnten Körper-«Defekte» wie «fetti Ooberschänggl» oder «Plattfiess» skandieren sie lieber laut als versteckt und leise. Und klar, die Zukunft, aber auch die finale Apokalypse sind weiblich.

Die Gruppe Gendertainment um den Regisseur Tom Ryser, die Dramaturgin Eva Watson und dem Rapmusiker Skelt! - alle aus Basel, von der Migros nach Zürich geholt - macht hier mit und für die Zielgruppe rasantes, zu diesem Zweck angenehm unreflektiertes Tempotheater. Endlose Verzärtelung wäre zwar fehl am Platz, doch eine etwas differenziertere Gliederung täte auch einem noch so veräusserlichten Abend keinen Abbruch.
Zu schnell und zu häufig drehen die «Prinzähssinnen» im roten Bereich, zu selten schalten sie mal in einen unteren Gang, was den Doppelschub auf der Geraden zur Publikumsrampe noch etwas siegessicherer aussehen liesse. Die «Prinzähssinnen» aber halten die Hände jede Runde erneut in die Höhe.

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