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P-27 «Dr einzig Wäg»

25. Februar 2000Von: Ane HebeisenViews: 7700

Die Nachkommen aus der Sackgasse

HIP-HOP

Double Pact, Gleis Zwei, Bligg'n'Lexx und P-27 versuchen mit ihren aktuellen Alben den Schweizer Hip-Hop zu beleben. Das Niveau, mit dem sie zu Werke gehen, ist hoch, doch wird es schwer sein, ähnlich wie Sens Unik bei einem grösseren Publikum anzukommen.

Die Nachkommen aus der Sackgasse

HIP-HOP / Double Pact, Gleis Zwei, Bligg'n'Lexx und P-27 versuchen mit ihren aktuellen Alben den Schweizer Hip-Hop zu beleben. Das Niveau, mit dem sie zu Werke gehen, ist hoch, doch wird es schwer sein, ähnlich wie Sens Unik bei einem grösseren Publikum anzukommen.

Vergleicht man den Hip-Hop-musikalischen Output der Schweiz mit jenem anderer Länder, besteht kaum Anlass, in Überschwang und Jubilieren auszubrechen. Um den Schweizer Hip-Hop ist es etwa ähnlich bestellt wie um den Schweizer Fussball: Man spielt munter mit, setzt kaum Akzente, und wenn man mit den Guten dieser Welt Leistungsmäßig einigermaßen mitzuhalten vermag, klopft man sich frohgemut auf die Schulter und findet sich einen prächtigen Moment lang ziemlich unwiderstehlich.

Die Sforzas und Chapuisats des Schweizer Hip-Hops - Bands, die so spritzig, eigenständig und erfrischend sind, dass sie auch im Ausland als Bereicherung verstanden werden - gibt es wunderselten. Es liegt auf der Hand, in diesem Zusammenhang die Lausanner Gruppe Sens Unik zu erwähnen, danach ist die Hand jedoch auch schon frei von weiteren guten Beispielen. Es wird hierzulande zwar währschaft von den Grossen des Genres abgekupfert, es wird aufmerksam über die Grenzen (Frankreich, Deutschland) oder nach Übersee geschielt, aber nach einem eigenständigen musikalischen Dialekt wird kaum gefahndet.

Immerhin besinnt man sich in der Deutschschweiz mittlerweile auf den eigenen sprachlichen Dialekt, aber ob das reicht, um eine bemerkenswerte Musikidentität zu schaffen, bleibe dahingestellt. Allzu viele Exponenten geben sich mit dem Bemühen althergebrachter Hip-Hop-Floskeln zufrieden oder bestenfalls mit dem Wiederkäuen von Innovationen aus dem Erfinderland des Hip-Hops. Mit den CDs der Truppen Double Pact, P-27, Gleis Bligg'n'Lexx sind in den letzten Wochen und Monaten neue, hoffnungsschürende helvetische Hip-Hop-Alben erschienen, die eine neue Langbeurteilung rechtfertigen.

Währschafte Gleis Zwei

Als Erstes sei das Zürcher Kollektiv Gleis Zwei einer näheren Betrachtung unterzogen. Was tönt wie eine jugendnahe SBB-Werbeanstrengung, ist die erste Mundart-Hip-Hop-Band, die vom welschen (Sens-)Unik-Records-Label unter Vertrag genommen wurde. 1993 von DJ Abe und den Rappern Martene und P. Moos ins Leben gerufen, veröffentlichen Gleis Zwei nach einer EP 1997 ihren ersten Longplayer namens «Jede Tag'n Gleiser» (TBA).

Ein Album weitgehend ohne markante Attraktionen, aber durchzogen von überdurchschnittlich gut produzierter, ganz ansprechender Programmierarbeit auf derart gefälligem Niveau, dass selbst die im ersten Track geäusserte Androhung «ich bring dr Slang wo mä Züri nännt» mit zunehmender Dauer der CD (55 Minuten) an Schrecken verliert.

Die meisten Tracks basieren auf raffiniert gebastelten und repetitiv eingesetzten Loops, angereichert mit schnörkellosen Beats und Raps, deren dringliches Hauptanliegen das Betonen der einwandfreien Street-Credibility der Band ist («ich will mini Platte verchaufe und nöd mich, ich weiss mit däm Züri-Släng-Scheiss da wirsch nöd rich...» ). Mit der Zeit wirkt die Spannweite des musikalischen Ausdrucks allerdings etwas gar limitiert, obzwar der Remix des «Limmetplatz Hustler» einen ganz netten und hitverdächtigen Stilbruch im smooven Hip-Hop-Gleichtakt darstellt.

Hoffnungsträger Double Pact

Weit vielschichtiger und abwechslungsreicher ist das neue Werk «.., c'est comme la vie» (TBA) der Westschweizer Formation Double Pact geartet, reicht das Spektrum doch locker von afrokubanischen Tonalitäten über Hip-Hop mit mexikanischen Trompeten, deutschen Sprechgesang, vertrackte Crazy-Beats bis hin zu sanften Siebzigerjahr-Streichern. Amtssprache ist Französisch, ausser es schaut mal eben der Max vom Freundeskreis als Gastrapper vorbei, um mit den Schweizern den absolut zauberhaften und entspannten Song «One Love» einzuspielen. Ebenso umwerfend ist der spanisch gesungene und kubanisch groovende Titeltrack «... c'est comme la vie», dessen Melodieparts von einem Lausanner Mariachi (!) intoniert wurden.

Gibt es eine Band, die das Potenzial besitzt, mittelfristig in die Fussstapfen von Sens Unik zu treten, dann sind das mit Sicherheit die drei Doppelpäckler Yvan (23), Stress (22) und Nega (22), deren Album von Couleur 3 letztes Jahr als bestes Schweizer Album erkoren wurde und in den nächsten Wochen in Frankreich auf den Markt kommen soll.

Zürischnure Bligg'n'Lexx

Eher auf rudimentäre Instrumentalbegleitung bauen die zwei Bart tragenden Zürcher Beaus Marc Bliggensdorfer (24) und Alex Storrer (28), in der Hip-Hop-Szene besser bekannt unter dem Namen Bligg'n'Lexx. Trockene Beats aufgemotzt mit analogen Synthesizer-Bässen und teils ganz anmächeligen Siebzigerjahre-Samples sowie eine überdurchschnittliche raptechnische Wortgewandtheit sind die Hauptingredienzen ihrer ersten CD «Nahdisnah» (Musikvertrieb). Textbeispiel: «Ich ghör zur Sorte Zytgenosse, wo alles analysiert, über d Wält philosophiert, mit Lüt diskutiert. Zum Täil bini deprimiert, zum Täil bini glückli, zum Täil bini voll zwäg und zum Täil nid würkli.»

Neben allerlei bedingt aufregender Hip-Hop-Hausmannskost fallen immerhin vier (das ist viel) Tracks mit Hitpotenz auf: Das munter-beschwingte «Wänn», das coolgroovige «Issächüel», die soulige Anhimmelung «Du & ich» oder die hübsch-melodiöse Nummer «Für's Läbe». Zündende, die Hip-Hop-Welt erbeben lassende Ideen sind zwar weit und breit nicht zu orten, aber die ohne Effekthascherei erzielte Nachhaltigkeit der Beats verdient allemal Respekt.

Weniger Respekt verdient der informativ gemeinte Pressetext der Zürcher, der mit folgendem Hinweis aufwartet: «Bligg'n'Lexx» haben die Rhymes im Griff, und ihre Texte widerspiegeln die verträumte Realität von jedem Jugendlichen in der Schweiz. Mundart-Hip-Hop wird immer mehr als musikalische Ausdrucksform gewählt »

Dauerbrenner P-27

Dies wissen auch die Basler Hip-Hop-Veteranen von P-27, die 1992 mit dem Track «Murder by Dialect» auf dem CH-Rap-Sampler den ersten schweizerdeutsch gerappten Song zur Musikgeschichte beisteuerten. Ihr aktuelles Album «Dr einzig Wäg» (Musikvertrieb) besticht mit unbeschwerten, vielseitigen und originellen Tunes, mit wendigem Sprechgesang, abwechslungsreicher Untermalung und aber auch mit überraschend anmutigen Melodieparts. Die Problematik, nicht gerade mit dem charmantesten aller Schweizer Dialekte gesegnet zu sein, umgehen die Basler, indem sie ihre Stimmen zuweilen derart finster und grantig einsetzen, dass daraus ein fast schon bezaubernd-betörendes Gegrummel resultiert.

Das hat zwar nicht für eine Charts-Rangierung gereicht, in Sachen Songwriting, Sprechgesang und Originalität in der Programmierung gehören P-27 indes mehr denn je zu den führenden Combos der Deutschschweiz.

Fazit: Ernüchterung

Neben den Szene-Darlings Sens Unik hat es lange Zeit keine Schweizer Hip-Hop-Combo auch nur annähernd geschafft, von einem grösseren Publikum wahrgenommen zu werden. Und auch wenn das musikalische Potenzial der erwähnten Gruppen - wie erwähnt - durchaus viel versprechend ist, deuten die bisherigen Verkaufszahlen nicht darauf hin, dass sich in dieser Beziehung etwas Wesentliches ändern könnte. P-27 beispielsweise verkauften von ihrem obig so gerühmten Album seit September letzten Jahres nur knapp über 1200 Tonträger, und die neuen Hoffnungsträger am Schweizer Hip-Hop-Himmel, Double Pact, schafften trotz der hitpotenten Kooperation mit Freundeskreis und begeisternden Konzerten den Einzug in die offiziellen Schweizer Charts nicht (immerhin haben sie in den Westschweizer Charts reüssiert). So wird es wohl auch Bligg'n’Lexx und Gleis Zwei - den beiden Vertretern aus Zürich - kaum über ihre Kantonsgrenzen hinaus zu Ruhm und Ehre gereichen, und es bleibt die ernüchternde Feststellung, dass just in jener Zeit, da der Schweizer Hip-Hop endlich mit bemerkenswerten Acts aufwarten würde, das breite Interesse an dieser musikalischen Disziplin abzuebben scheint. Nu denn, soll er nur schön weiter hoppen, der helvetische Hip-Hop-Underground.

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