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20 Jahre Mundart-Rap

25. November 2011Von: Marc KrebsViews: 8868

«Bulleschtress und Bürgerwehr»

Vor 20 jahren nahm Black Tiger «Murder by Dialect» auf und machte so Mundartrap populär.

Was steht für die Geburtstunde des Schweizer Mundart-Rap? Das dadaistisch-absurde Stück «Nüt» der Zürcher Sprechsänger Claude 1982 die Hitparada aufwirbelte? Oder gar die Firma Leisi, die ab 1984 mit ihrer grossen Kampagne eine junge Kundschaft begeistern wollte: «De Taig no sälber rolle, nei si! Nämed sie de Quick vom Leisi!» Die Werbebotschaft ist Kult, eine komische Kuriosität auch. Für den Durchbruch des Mundart-Rap war aber ein Text besorgt, der nicht für Teig warb, sondern für ein Lebensgefühl: «Murder by Dialect», ein Plädoyer für Graffiti, das der Basler Rapper Urs Baur alias Black Tiger vor 20 Jahren aufnahm.

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Wir schreiben das Jahr 1990. Die Schweizer Hip-Hop-Szene beginnt sich zu organisieren und zu vernetzen. Daraus resultiert zunächst die Compilation «Fresh Stuff 1» auf der die bekanntesten Rapper der Schweiz vereint sind: E.K.R. aus Zürich etwa, oder Sens Unik aus Lausanne. Rasch sind die 100 Schallplatten, die gepresst wurde, verkauft. Die stetig wachsende Szene lechzt nach mehr. Weshalb der Ostschweizer Musikproduzent Pascal De Sapio eine zweite Compilation initiiert und dafür auch die Basler Crew P-27 ins Boot holt. Kurzfristig erhalten sie 1991 die Möglichkeit, zur CD «Fresh Stuff 2» einen zweiten Track beizusteuern und laden hierfür den befreundeten Rapper Black Tiger ins Studio ein. Dieser schlägt einen schweizerdeutschen Text vor. Die Idee wird skeptisch aufgenommen. «Das klang so ungewohnt wie Esperanto auf Metal», erinnert sich Skelt! von P-27. «Aber der Groove war zweifelsohne da!»

Ein Aha-Erlebnis in Paris

Wie alle in der jungen Basler Hip-Hop-Szene hatte auch Black Tiger seine ersten Raps in Englisch verfasst, beeindruckt von den grossen Vorbildern aus den USA. 1987 schrieb der Gymnasiast seine ersten Texte, musste dafür aber von einer Kollegin für seine Aussprache Kritik einstecken. 1989 sah er in Paris eine Gruppe, die französisch rappte und war fasziniert: Das Publikum verstand nicht nur die Texte, es schrie sie sogar mit. Unter diesem Eindruck entschied er sich, vermehrt in seiner eigenen Sprache, dem Basler Dialekt, zu rappen.

Für seine Texte zehrte er von eigenen Erfahrungen. Black Tiger war leidenschaftlicher Sprayer und erlebte eines Nachts auf den Basler Bahngeleisen, wie ihm ein Geschoss um die Ohren flog. Eine Kugel. Die Polizei sei es nicht gewesen, meint er, eher ein Nachtwächter, wahrscheinlich aber sogar eine Privatperson. «Einige Leute hatten sich damals zu einer Bürgerwehr zusammengeschlossen, um gegen die Graffiti-Szene vorzugehen», erinnert er sich. «Wir fürchteten diese Patrouillen und hassten sie gleichzeitig. Uns ging es ja mit dem Sprayen nicht um Vandalismus, sondern um Kreativität und Selbstverwirklichung. Hätte es genügend amtlich bewilligte Graffiti-Wände gegeben, dann hätte ich dort gesprayt.»

Black Tiger griff in die Tasten seiner Hermes-Schreibmaschine, verfasste sein Manifest pro Graffiti. Im Studio raspelte er dieses über die Beats von P-27, als Gastbeitrag zu den kurios-bedrohlichen Englisch-Reimen von Scen und Tron. Fertig war «Murder by Dialect», der Klassiker, der den Mundart-Rap-Boom begründete und noch viele Jahre später auf Schulhöfen und in Jugendzentren zitiert wurde: «Basel, dä Rap isch für di!»