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Outlander

31. März 2000Von: David WohnlichViews: 8028

«Outlander - Fremdgehen mit Kleist» im Foyer der Grossen Bühne des Theaters Basel

Die werktreuste Kleist-Inszenierung seit 1804

«Fremdgehen mit Kleist» soll das gewesen sein? Warum denn? Das war eingehen auf das, was ein Text heute noch sagen kann. Das war Weiterführen des Theaters zurück an seine genuinen Wurzeln - Theater für Kopf, Leib und Seele.

«Greift nur hinein ins volle Menschenleben» - einer der Ratschläge im Faust-Prolog, wie Theater zu machen sei, ein guter Ratschlag. Nur - wenn man ihn heute befolgen möchte, steht man vor der Frage, was das denn sei: ein Menschenleben. Es gibt keine ungebrochenen Biografien mehr. Kaum mehr regionale Verwurzelungen. Keinen allgemeingültigen Kunstbegriff. Nichts?

Oh doch, etwas gibt es: Die unbändige, anarchische Lust auf Kunst, auf Musik, auf Theater und Tanz, auf Texte, sogar auf Botschaften und auf Kommunikation. Gerade die Vielfalt der kulturellen und künstlerischen Möglichkeiten lässt jedes Beharren auf ein allgemeingültiges kulturelles Universal zutiefst dünkelhaft erscheinen. «Gendertainment» machts vor.

Die Vorurteile
«Gendertainment» ist eine Gruppe von jüngeren Leuten, Frauen und Männern. Da ist der Sänger und Musiker Skelt! dabei, die Dramaturgin Eva Watson und der Regisseur Tom Ryser. Wen müsste man da nicht sonst noch nennen: Lesen Sie bitte den Besetzungszettel, so viele tragen da das Ihre zum Gelingen bei, die akrobatischen Tänzer von «Cîrqu'enflex» etwa, so «flex» wie die raffinierte Tuchwand, die die Bühnenrückseite bildet und auf der sie, an Seilen angemacht, tanzen, dass es einem den Atem raubt. Dann gleich zwei Gertrudes (einmal warens sogar vier), eine Agnes - lasse wir die Namen, es ist die Gruppe «Gendertainment».

Und was tun sie nun genau? Sie nehmen einen Text von Kleist - ironischerweise ein Stück, das Kleist zunächst in Frankreich, dann in Spanien, dann in Deutschland angesiedelt hat: «Die Familie Schroffenstein». Sie nehmen den Text und drehen ihn durch den Hirn- und Körperwolf ihrer Musik, ihrer Körpersprache, ihrer Rede, ihrer Bilder.

Viele Mitwirkende sind «Outlanders», und manchmal sprechen sie auch ausländisch, nur das Wort «Missverständnis» ist immer deutsch. Dieses Missverständnis, das letztlich Vorurteile gegen Bevölkerungsgruppen generiert und an Morden und Vergewaltigungen, an Kriegen, selbst an Hungersnöten schuld ist. «Wenn ihr euch totschlagt, ist es ein Versehen» - von diesem Schlüsselsatz in Kleists Drama handelt der Abend, diesen Sachverhalt benennt er - auf Türkisch, auf Serbisch, auf Deutsch, auf Körper, auf Tanz. Bild auf Bild, Szene auf Szene.

Die Körpersprache
«Gendertainment» macht Lust auf Erfindung, auf Aufbrechen der Form. Bungie-Jumping wird zur Folter. Chorisch ausgeführte Gebärden relativieren die gängige Körpersprache auf dem Theater, Verfremdungen durch Echos oder chorisches Sprechen das Bühnendeutsch. Das Stottern spielt auf Kleist an, der ein Stotterer gewesen sein soll, weist aber auch auf den Widerspruch zwischen geschliffener Schreib- und unbeholfener Umgangssprache hin.

Sicher, Kleist hätte seine Freude an «Outlander» gehabt. Das Ensemble hat das Stück ganz genau verstanden und streng genommen - auch genau gespielt. Natürlich konne Kleist nicht Kurdisch, natürlich wusse er noch nichts von den so genannten Bürgerkriegen des 20. Jahrhunderts. Dennoch hatte er bereits etwas dazu zu sagen - und das hat «Gendertainment» in dieser in jeder Beziehung aussergewöhnlichen Produktion aufgenommen, verstärkt, ergänzt. Hingehen. Erleben.

Das Publikum an der Premiere war jung und jedenfalls hell begeistert; das Foyer des Theaters Basel war bis auf den letzten Stuhl besetzt.

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